Im Fokus: nilo Psychologe Edwin

Ein globales Team aus Top-Psycholog:innen bildet das Fundament der nilo.health Plattform, auf der jede:r Nutzer:in in Einzelgesprächen individuell und professionell betreut wird. In unserer neuen Reihe möchten wir dir unsere Psycholog:innen näher vorstellen. Diesmal erfährst du mehr über unseren Psychologen Edwin, welche Probleme seiner Meinung nach durch die Stigmatisierung von mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz entstehen und welche Ratschläge er für Führungskräfte hat.

Hallo Edwin, möchtest du dich kurz vorstellen?

Ich habe 15 Jahre Berufserfahrung, einen Master in Neuropsychologie, einen Executive MBA von der Rotterdam School of Management und bin qualifizierter GZ-Psychologe – all das bildet die Grundlage für meinen breiten Erfahrungsschatz im Bereich Klinische Psychologie und Gesundheitsmanagement.

Ich habe mit unterschiedlichsten Menschen aus allen erdenklichen sozialen Schichten und jeden Alters zusammengearbeitet und sie je nach ihren individuellen Bedürfnissen bei verschiedenen Themen von Depressionen über Angstzustände, ADHS, Autismus oder Persönlichkeitsstörungen unterstützt. 

Anfangs war ich eher an der Neuropsychologie interessiert, vor allem, weil ich wissen wollte, wie das menschliche Gehirn funktioniert und unser Verhalten beeinflusst. Deshalb war ich zunächst als Diagnostiker tätig. Dabei lag mein Fokus darauf, herauszufinden, was unter welchen Umständen im Gehirn passiert und den Patient:innen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie sich an diese Gegebenheiten anpassen oder damit umgehen können.

Es ist für mich unglaublich, dass wir sich niemand be Fieber hat oder einem Beinbruch schämt, aber bei psychischen Problemen schon.

In den folgenden Jahren verlagerte sich mein Schwerpunkt immer mehr darauf, wie diese Ratschläge konkret in die Tat umgesetzt werden können. Ich half Menschen zu verstehen, was im Gehirn vor sich geht, wie sie es schaffen können, weniger davon beeinflusst zu werden, und wie sie Eigenschaften, die sonst als Schwächen wahrgenommen werden, zu ihren Stärken machen können.

Wo lebst du und welche Sprachen sprichst du? 

Ich bin Niederländer, aber ich wohne in Kopenhagen (Dänemark) und spreche vier Sprachen. Niederländisch und Englisch spreche ich fließend und kann in beiden Sprachen Therapiesitzungen anbieten. Außerdem ist mein Griechisch und Dänisch gut genug, um durch den Alltag zu kommen und mich mit anderen Leuten zu unterhalten, aber leider noch nicht gut genug, um Therapiesitzungen in diesen Sprachen anzubieten.

Wie wirkt sich die Stigmatisierung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz auf Angestellte aus? 

Die Stigmatisierung der mentalen Gesundheit frustriert mich sehr, da ich selbst gesehen habe, wie sie sich auf einzelne Personen und ganze Unternehmen auswirken kann. Es ist für mich einfach unbegreiflich, dass Fieber oder ein gebrochenes Bein mit keinerlei Problemen oder Scham verbunden sind. Bei mentalen Belastungen werden diese Überzeugungen jedoch einfach über den Haufen geworfen. Anders gesagt: Es ist absolut kein Problem, wenn jemand sichtbar krank ist oder ein Organ, dessen Funktionsweise wir nachvollziehen können, nicht wie gewohnt arbeitet. Aber wenn das allerwichtigste Organ in unserem Körper betroffen ist, das ganz nebenbei erwähnt auch nicht ersetzt werden kann, schreibt uns die Gesellschaft (und somit auch viele Arbeitgeber:innen) vor, dass wir uns dafür schämen müssen. 

Wenn es um die Psyche geht, verlieren wir schnell die Geduld. Wir sollten bei psychischen Problemen die gleiche Unterstützung und das gleiche Verständnis aufbringen wie bei körperlichen Problemen.

Bleiben wir beim Beispiel eines gebrochenen Beins und stellen wir uns einmal vor, dass gebrochenen Beinen ein Stigma anhaftet. Dann versuchen wir, unser gebrochenes Bein vor der Öffentlichkeit zu verstecken, gehen arbeiten und versuchen, wie gewohnt unsere Leistung zu bringen. Wenn Leute uns fragen, wie es uns geht, dann lächeln wir und sagen, es ginge uns gut, während wir versuchen, den Pausenraum zu verlassen ohne dabei zu humpeln oder vor Schmerzen in Tränen auszubrechen. Anstatt unseren Job zu machen, wenden wir all unsere Energie dafür auf, den Schein zu wahren. Absurd, oder? Aber das Schlimmste ist: Es wird nicht besser. Unser Bein kann nicht nur nicht richtig heilen, sein Zustand verschlechtert sich mit der Zeit immer weiter. 

Ein gebrochenes Bein, Herz- oder Nierenprobleme sind für alle nachvollziehbar. Aber sobald es um unsere Psyche geht, verlieren wir sehr schnell die Geduld. Wir müssen Patient:innen mit psychischen Belastungen genauso verständnisvoll unterstützen wie Patient:innen mit körperlichen Beschwerden. Zum Wohle der Menschen, Unternehmen und der Gesellschaft

Wie lässt sich mentale Gesundheit am Arbeitsplatz entstigmatisieren? 

Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. In den Niederlanden gibt es ein Sprichwort, das es in nur drei Worten auf den Punkt bringt: „Onbekend maakt onbemind.“ Übersetzt heißt das so viel wie „Unbekannt – ungewollt“, oder etwas ausführlicher: Wir Menschen haben eine angeborene Abneigung gegenüber Dingen, die wir nicht verstehen.

Wir können dieses Thema also nur entstigmatisieren, indem wir es den Leuten näherbringen. Wir alle verstehen körperliche Beschwerden (das Gehirn zählt zwar auch zum Körper, aber zum besseren Verständnis bleibe ich bei dieser Formulierung), wir alle haben hin und wieder körperliche Beschwerden. Doch genauso sind wir alle psychischen Belastungen ausgesetzt. Deshalb müssen wir Menschen über diese Probleme und ihre Folgen informieren.

Das funktioniert natürlich viel besser, wenn die Geschäftsführung eines Unternehmens davon überzeugt ist, dass mentale Gesundheit entstigmatisiert und das mentale Wohlbefinden in den Vordergrund gerückt werden muss. Wenn Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, wird es uns leichter fallen, unsere Einstellung zu mentalen Belastungen grundlegend zu ändern. 

Wie können Angestellte deiner Meinung nach von mentaler Unterstützung am Arbeitsplatz profitieren? 

Zunächst einmal kann dadurch das Thema der mentalen Gesundheit entstigmatisiert werden, wodurch frühzeitige Interventionen möglich gemacht werden. Wenn ein Unternehmen seine Angestellten besser unterstützt, gibt es dadurch offen zu verstehen, dass psychische Belastungen existieren und wie wichtig es ist, sich so schnell wie möglich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ganz genau wie bei einem gebrochenen Bein: Je früher wir uns darum kümmern, desto besser die Therapieergebnisse.

Psycholog:innen und Berater:innen sind ein Werkzeug. Ein komplexes und vielfältiges Werkzeug, aber dennoch ein Werkzeug. Es liegt in der Verantwortung des Klienten, dieses Werkzeug zu nutzen.

Und wie können Unternehmen wiederum von mentaler Unterstützung für ihre Angestellten profitieren? 

Mentale Belastungen, die durch unsere Arbeit oder am Arbeitsplatz entstehen, sind die häufigsten Ursachen für Produktivitätsverlust – und werden oft völlig übersehen. Produktivitätsverlust wird häufig daran gemessen, wie oft Angestellte ausfallen. Aber es wurde eindeutig nachgewiesen, dass Angestellte oftmals zur Arbeit gehen, obwohl es ihnen schlecht geht, und dass sie dann oft weniger produktiv sind. Wenn wir mentale Probleme frühzeitig angehen, hat das also nicht nur direkte Auswirkungen auf die einzelne Person. Es wirkt sich auch auf das Unternehmen aus, da die Mitarbeitenden durch die positive Unternehmenskultur motivierter, kreativer und leistungsstärker sind.

Kannst du uns von einem Fall erzählen (natürlich anonym!), bei dem du deutlich sehen konntest, wie sich deine Arbeit positiv auf das Leben einer anderen Person ausgewirkt hat? 

Das klingt jetzt sicherlich sehr klischeehaft, aber eigentlich ist es nicht mein Verdienst. Ein:e Psycholog:in oder ein Coach ist im Grunde so etwas wie ein vielseitiges Werkzeug. Es liegt ganz allein bei den Patient:innen, wie sie es nutzen. Ein Hammer kann schließlich auch nicht von allein einen Nagel in eine Wand schlagen, genauso wie ein Tischler nicht mit bloßen Händen einen Nagel in ein Stück Holz hämmern kann. Die meiste Arbeit übernehmen die Patient:innen.

Das mag wieder stark vereinfacht klingen, aber im Grunde stimmt es. Ich glaube, wenn man weiß, welche Rolle man als Psycholog:in spielt, ist das schon einmal eine gute Voraussetzung für die Beziehung. Und die Beziehung ist wiederum enorm wichtig für den Erfolg der Patient:innen. 

Ich habe zum Beispiel unlängst mit einem Teamleiter in einem Unternehmen gearbeitet, das gerade eine schwierige Phase durchmacht. Er erkannte, dass der Druck, dem er sich in dieser Zeit ausgesetzt fühlte, und die Ungewissheit dazu führten, dass er sein Team schützen wollte, indem er immer mehr Arbeit übernahm. Durch das enorme Arbeitspensum wurde er immer gestresster und konnte nicht mehr die gewünschte Leistung bringen. Schlimmer noch: Der Stress führte dazu, dass er sein Team nicht mehr so gut leiten konnte, wodurch sich auch die Leistung des Teams verschlechterte. Es folgte ein klassischer Teufelskreis aus immer schlechterer Einzel- und Teamleistung. 

In unseren Gesprächen haben wir untersucht, woher sein anfängliches Verhalten und der zugrundeliegende Wunsch herrühren. Dadurch konnte er sein Verhalten besser verstehen, und so fiel es ihm leichter, frühzeitig Änderungen umzusetzen. Er konnte dann den Teufelskreis durchbrechen, indem er die Stärken seiner Teammitglieder nutzte, um Herausforderungen zu bewältigen, mehr Vertrauen fasste und Aufgaben delegierte. Dadurch wurde letztlich nicht nur die Leistung des Teams, sondern auch sein eigenes Selbstvertrauen und mentales Wohlbefinden innerhalb von wenigen Wochen gestärkt. 

Sei offen für das Thema der mentalen Gesundheit, betrachte es als eine Frage des geistigen Wohlbefindens, wobei wir uns alle im Laufe unseres (Berufs-)Lebens gute und schlechte Phasen durchlaufen.

Wie können Manager:innen und Führungskräfte deiner Meinung nach ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen, in dem das mentale Wohlbefinden aller im Fokus steht? 

Eine sehr wichtige Frage. Die Antwort ist einfach, aber schwer umsetzbar. Ich würde Folgendes sagen: Seid offen für das Konzept mentale Gesundheit und versucht, sie als kontinuierlichen Prozess anzusehen, der mal gute und mal schwierige Phasen durchläuft. Dieses Umdenken und entsprechende Maßnahmen helfen sowohl den Angestellten als auch dem Unternehmen. Eine klassische Win-Win-Situation. 

Aber wie gesagt: Das ist leichter gesagt als getan. Man kann seine Grundhaltung nicht mal eben über Nacht ändern. Seht es also als eine Art Business Case für euer Unternehmen oder eure Abteilung an. Jede Investition in die mentale Gesundheit eurer Angestellten zahlt sich wahrscheinlich mehrfach aus. Darum möchte ich Führungskräfte bitten: Macht euren eigenen Business Case daraus. Fangt an, die mentale Gesundheit in eurem Unternehmen anonym zu messen, untersucht, wie es euren Angestellten geht, plant Interventionen und kontrolliert, wie sie sich auswirken. Ich bin mir sicher, dass es sich lohnt.

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