Präsentismus: 10 Warnsignale

Eisberg in Sicht…

Viele Führungskräfte navigieren ihre Unternehmen wie unerfahrene Kapitäne auf dem Nordatlantik: Obwohl Expert:innen vor einem stetigen Anstieg von Präsentismus warnen, sehen sie nur ein scheinbar kleines Problem, ein überschaubares Fleckchen auf dem Radarschirm. Sie können oft noch nicht begreifen, wie zerstörerisch Präsentismus sein kann – sowohl für das Unternehmen selbst als auch für die betroffenen Personen.

Um es vorweg zu nehmen: Psychisch bedingter Präsentismus kostet etwa viereinhalb Mal so viel wie psychisch bedingte Abwesenheit und dreimal so viel wie gewöhnliche Fehlzeiten. 

Präsentismus ist außerdem häufig eine Vorstufe zum Burnout und kann die individuelle Produktivität um ein Drittel oder mehr senken. Wegen der enormen Kosten und Auswirkungen bezeichnen Forscher:innen Präsentismus oft auch als „800-Pfund-Gorilla“.

Was ist Präsentismus?

Einfach ausgedrückt bedeutet Präsentismus, dass Mitarbeitende zur Arbeit gehen, obwohl es ihnen nicht gut geht – sie sind zwar anwesend, können aber nicht ihre volle Leistung erbringen.

Wenn ein:e Mitarbeitende:r sich mit einem fiesen Virus ins Büro schleppt, ist das eine sehr offensichtliche Form von Präsentismus. Andere Formen des Präsentismus sind subtiler und potenziell viel schädlicher.

Untersuchungen zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Präsentismus und psychischen Problemen, insbesondere Depressionen – deine Mitarbeitenden kommen also eventuell zur Arbeit, obwohl die gerade mit mentalen Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben.

Psychische Erkrankungen und anhaltender Stress können Schamgefühle auslösen. Für Betroffene wird es dadurch noch schwieriger, Probleme offen zuzugeben – vor allem, wenn die mentale Gesundheit ein Tabuthema im Unternehmen ist und „Durchhalten“ die Parole ist.

Daher liegt es in der Verantwortung der Führungskräfte, durch mentale Probleme ausgelösten Präsentismus zu erkennen, bevor er sich negativ auf das Unternehmen auswirkt – und vor allem auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.

Häufige Ursachen für Präsentismus

Auf Unternehmensebene:

  • Schuldgefühle: Eine kürzlich durchgeführte britische Studie ergab, dass die Angst, das eigene Team zu enttäuschen, die Hauptursache für Präsentismus ist. 
  • Druck/unrealistische Erwartungen von Arbeitgebern und/oder Vorgesetzten (übermäßige Arbeitsbelastung, enge Fristen, Arbeitskräftemangel)
  • Unsichere Arbeitsplätze
  • Fehlendes Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
  • Loyalität gegenüber dem Unternehmen 
  • Finanzielle Belastungen (lies unseren Artikel „Wie die Finanzkrise die mentale Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden beeinflusst“, um mehr über dieses Thema zu erfahren).

Präsentismus kann auch durch eine bestimmte Unternehmenskultur entstehen, zum Beispiel:

  • Fehlende Vorbildfunktion des Managements oder eine Mobbing-Kultur können dazu führen, dass Beschäftigte Angst haben, sich einen Tag frei zu nehmen. Sie fürchten, als schwach oder unengagiert abgestempelt zu werden.
  • Schlechte Kommunikation kann Mitarbeitende demotivieren und ihre mentale Gesundheit beeinträchtigen.
  • Wenn viel Wert auf Teamarbeit und eine „super positive“ Einstellung gelegt wird, kann das dazu führen, dass die Beschäftigten ihr Team nicht im Stich lassen wollen. Sie opfern dann ihre eigene Gesundheit zum Wohle der Gruppe.

Auf individueller Ebene:

Eine Studie, die dieses Jahr von Forschenden des Trinity College Dublin veröffentlicht wurde, ergab, dass „Arbeitnehmende, denen es nicht gut geht, oft dann zu Präsentismus neigen, wenn sie ihre täglichen Arbeitsziele nicht erreicht haben“. Darüber hinaus stellten sie fest, dass

„die Arbeit an einem Tag, an dem man sich krank fühlt, mentale Energie verbraucht, die am nächsten Tag nicht wiederhergestellt werden kann“. 

Außerdem haben Forschende herausgefunden, dass Erschöpfung und Präsentismus sich gegenseitig bedingen: „Wenn Arbeitnehmende erschöpft sind, setzen sie Kompensationsstrategien ein, die letztlich ihre Erschöpfung verstärken.“

Die daraus resultierenden Gefühle des Versagens oder der Unzulänglichkeit setzen oft auch auf psychologischer Ebene einen Teufelskreis in Gang: „Ein:e Arbeitnehmender: wird krank, geht aber trotzdem zur Arbeit, erbringt eine schlechtere Arbeitsleistung, sein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen nehmen Schaden. Das hat zur Folge, dass er/sie eine noch schlechtere Leistung erbringt, usw.” – und all das durchlebt die betroffene Person, während sie versucht, ihre geistige und körperliche Energie wiederzuerlangen. Es ist nicht verwunderlich, wenn dies schließlich zu einem Burnout führt. 

Wer ist am stärksten von Präsentismus betroffen?

Einem Bericht des britischen Institute for Employment Studies zufolge sind „diejenigen, die am stärksten von Präsentismus betroffen sind, in jeder Hierarchieebene und Position wiederzufinden“ – dazu gehören:

  • Führungskräfte, die das Gefühl haben, mit gutem Beispiel vorangehen zu müssen
  • Menschen mit vielen krankheitsbedingten Fehlzeiten, die sich unter Druck fühlen, diese zu reduzieren
  • Menschen mit finanziellen Problemen
  • Workaholics
  • Menschen mit Schlafproblemen
  • Ältere Arbeitnehmende
  • Menschen mit ungesundem Lebensstil wie Rauchen, ungesunder Ernährung und wenig Bewegung
  • Menschen mit schlechtem mentalem Wohlbefinden, einschließlich Depressionen

Viele dieser Aspekte können mit psychischen Problemen oder sogar undiagnostizierten psychischen Erkrankungen zusammenhängen. Umso wichtiger ist es, die mentale Gesundheit im Unternehmen zu fördern – das ist auch ein wirksames Mittel gegen Präsentismus. 

Übrigens: Unser „Corporate Sanity Guide enthält eine praktische Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Umsetzung von Richtlinien und Verfahren zur Förderung der mentalen Gesundheit in Unternehmen.

10 Warnzeichen für Präsentismus

Keiner ist gerne krank. Doch insbesondere wenn Menschen mental erschöpft sind oder sich unter Druck gesetzt fühlen, verlieren sie leicht aus den Augen, was das Beste für ihre Gesundheit ist. Sei daher immer verständnisvoll, einfühlsam und höre deinen Mitarbeitenden gut zu – egal, ob sie mal unpünktlich sind oder eine Deadline versäumen.

Hier erfährst du, worauf du bei deinen Mitarbeitenden achten solltest:

  1. Sie haben ein ungesundes/ungepflegtes äußeres Erscheinungsbild
  2. Sie arbeiten länger oder kürzer als üblich 
  3. Sie lehnen Vorschläge anderer Teamkolleg:innen ab
  4. Sie können keine zusätzliche Arbeitsbelastung bewältigen
  5. Sie begeistern sich weniger für Dinge, für die sie sich normalerweise begeistern würden
  6. Sie reden weniger in Meetings
  7. Sie reagieren empfindlicher auf Feedback 
  8. Sie klagen über Müdigkeit
  9. Sie sind weniger erreichbar oder ansprechbar (per Instant Messaging, E-Mail oder persönlich) 
  10. Sie liefern schlechtere Arbeitsergebnisse (z. B. weniger kreative Ideen, Flüchtigkeitsfehler, etc.)

Nun kennst du die Gefahren, Ursachen und Anzeichen von Präsentismus. Lies Teil 2 und entdecke „5 Wege, um dein Unternehmen vor Präsentismus zu schützen“

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